In den letzten Jahrzehnten ist der Fremdsprachenunterricht an deutschen Schulen durch den „Kommunikativen Ansatz“ geprägt, die sog. „kommunikative Wende“ fand bereits Ende der 1970er Jahre statt. Seitdem steht die Förderung der kommunikativen Kompetenzen im Mittelpunkt des Fremdsprachenunterrichts. Mit der Kompetenzorientierung und Standardisierung nahm die Fokussierung auf die vermeintlich leicht abprüfbaren kommunikativen Kompetenzen immer weiter zu und die Vermittlung interkultureller Kompetenzen verlor immer mehr an Bedeutung. Die elaborierte Kritik von Fremdsprachendidaktiker:innen daran wird bis heute (zu) wenig gehört.
Der aktuelle fremdsprachendidaktische Diskurs der „Kritischen Fremdsprachendidaktik“ schließt an die Konzepte Byrams zur „interkulturelle kommunikative Kompetenz“ (1997) bzw. Hallets zur „fremdsprachlichen Diskursfähigkeit“ (2008) an, und argumentiert dafür, Spracherwerb in gesellschaftliche Kontexte einzubetten und damit Fragen zum Zusammenspiel von Sprache(n) und Machtkonstellationen, Disparitäten, Differenzen und Widerstand zu thematisieren (Gerlach 2020). Im Fremdsprachunterricht müsse „language in social contexts that goes beyond mere correlations between language and society and instead raises more critical questions to do with access, power, disparity, desire, difference, and resistance“ eingebettet werden (Pennycook 2001). Auf diese Weise könne der Fremdsprachenunterricht auch die sich immer stärker und schneller verändernden Rahmenbedingungen (Kultur der Digitalität) reagieren und einen Beitrag zur Demokratierbildung leisen.
Seit Beginn der Vollinvasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 ist der Russischunterricht in einer besonders prekären Lage und muss über eine inhaltliche Neuausrichtung kritisch reflektieren (Bergmann 2023). Die bis dahin häufig unreflektierte Fokussierung der Fachdidaktik Russisch (und damit auch der Lehrwerke) auf ein ethnisch homogenes (slavisches) Russland kann vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Ereignisse nicht weitergeführt werden. Den bis heute angewendeten imperialen Argumentationsmustern der russländischen Führung kann und darf der Russischunterricht nicht folgen.

- Akbari, Ramin (2008): Transforming lives: introducing critical pedagogy into ELT classrooms. In: ELT Journal Volume 62 (3), S. 276–283.
- Bergmann, Anka (2023): Russland führt Krieg. Wie geht es dem Russischunterricht? In: Die Neuen Sprachen Jahrbuch (11/12 (für 2020/2021)), S. 15–30.
- Böhmer, Jule (2023): Zurück in die Zukunft?! Schulischer Russischunterricht im 21. Jahrhundert. In: Didaktik slawischer Sprachen (DiSlaw) (Special Issue), S. 85–102. DOI: 10.48789/2023_special_issue4.
- Böhmer, Jule; Dornicheva, Daria (2023): Wie politisch darf bzw. muss Sprachunterricht sein? Vorschläge zur Auseinandersetzung mit dem russländischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Russischunterricht. In: Slavische Sprachen unterrichten (SlavUn) (01), S. 102–116. DOI: 10.20377/slavun-8.
- Byram, Michael (2021): Teaching and assessing intercultural communicative competence. Revisited. 2nd edition. Bristol, Blue Ridge Summit: Multilingual Matters.
- Gerlach, David (2020): Einführung in eine Kritische Fremdsprachendidaktik. In: David Gerlach (Hg.): Kritische Fremdsprachendidaktik. Grundlagen, Ziele, Beispiele. Tübingen: Narr Francke Attempto Verlag, S. 7–32.
- Hallet, Wolfgang (2009): „Ways of being in the world.“ Diskursfähigkeit als Kompetenzziel und die Inhaltsorientierung des Fremdsprachenunterrichts. In: Karl-Richard Bausch, Eva Burwitz-Melzer, Frank G. Königs und Hans-Jürgen Krumm (Hg.): Fremdsprachenunterricht im Spannungsfeld von Inhaltsorientierung und Kompetenzbestimmung. Arbeitspapiere der 29. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr (Gießener Beiträge zur Fremdsprachendidaktik), S. 68–77.
- Hallet, Wolfgang (2008): Diskursfähigkeit heute. Der Diskursbegriff in Piephos Theorie der kommunikativen Kompetenz und seine zeitgemäße Weiterentwicklung für die Fremdsprachendidaktik. In: Michael Legutke (Hg.): Kommunikative Kompetenz als fremdsprachendidaktische Vision, 76-96. Tübingen: Narr.
- Pennycook, Alastair (2001): Critical applied linguistics. A critical introduction. Mahwah, NJ: Erlbaum.
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